Zwölf Glieder des Bedingten entstehens

 

Abhängiges Entstehen (vergleichbar mit einer Theorie der Leerheit) zeigt die Bedingungen auf, welche dazu führen, dass Leiden entsteht. Unsere falschen Vorstellungen über ein aus sich selbst heraus existierendes, uns innewohnendes Selbst werden einer Prüfung unterzogen.

 

Alles beginnt mit der „Initial-Zündung“ der Unwissenheit und endet mit Tod und Zerfall, und so veranschaulichen die Zwölf Glieder den gesamten Zyklus von Samsara – dem endlosen Kreislauf der Wiedergeburten. Diese Theorie wird „Die Zwölf Glieder“ genannt, weil die zwölf Faktoren miteinander verwoben sind, von einander abhängen und wie die Glieder einer Kette erscheinen. Sobald wir die Weisheit erlangen, um diese Kette durchbrechen zu können, sind wir in der Lage, unser Leiden zu einem Ende zu bringen.

 

Ein Same wächst nicht aus eigenem Antrieb. Sobald er in fruchtbaren Boden gelegt, gewässert und von der Sonne beschienen wird, kann der Same zu einer Blume heranwachsen.

 

Avijja (Unwissenheit)

Die Unwissenheit bezüglich der Wahrheit bildet den maßgeblichen Grund für das Leiden. „Avijja” ist das Gegenteil von Wissen. Manchmal vermeiden wir es, uns die Wahrheit anzusehen und manchmal kommt es vor, dass wir sie einfach nicht wahrnehmen können. Wenn jemand unter einer Krankheit leidet, so ist das Wissen um seine Krankheit der erste Schritt zu seiner Genesung.

 

Sankhara (Mentale Formationskräfte)

“Sankhara” steht für die Energie, welche zu wirken beginnt, sobald wir die Wahrheit übersehen. Diese Formationskraft findet ihr Pendant in dem Ausdruck “Karma”. Ein bestimmtes Karma oder mentale Gestaltung kann absichtsvoll erzeugt werden, um bestimmte Resultate hervor zu bringen – wie zum Beispiel etwas zu studieren oder Meditation zu üben. In Wirklichkeit ist man sich aber meistens der Resultate seiner jeweiligen Handlungen, die man ausgeführt hat, nicht bewusst. Demzufolge verbleiben wir hinsichtlich der Ausmaße des ständig von uns erzeugten Karmas in Unwissenheit.

 

Vinnana (Bewusstsein)

Dieses Bewusstsein stellt die Grundlage für die Kenntnis des Egos, des dualistischen Geistes und des “Selbst” dar. Dem Ego entspringt unsere illusionäre, getrennte und individuelle Existenz.

 

Namarupa (Name und Form)

Jedes Phänomen, das wir wahrnehmen, wird als Einheit von Name und Form betrachtet. Ob wir eine Blume sehen oder den Klang einer Glocke hören, die Tatsache, dass wir eine Form wahrnehmen können und wir diese Form benennen können, weist auf „Namarupa“ hin. Doch wie können wir wirklich wissen, was die „wahre Natur“ einer Blume ausmacht? Mit den Namen benennen wir zwar Formen, doch sie sind nichts anderes als Platzhalter, vage Beschreibungen, die einzig und allein dem Zweck der Kommunikation dienen.

 

Salayatana (Die sechs Sinnesbereiche – Basis mentaler Aktivität)

Augen, Ohren, Nase, Zunge, der fühlende Körper und der denkende Geist – dies sind die sechs Sinnesbereiche. Damit der jeweilige Sinnesbereich reibungslos funktionieren kann, ist ein intaktes Sinnesorgan von Nöten (Augen, Ohren, Mund etc.), ein Bewusstsein der durch das Sinnesorgan aufgenommenen Informationen (ein toter Mensch hat Augen, kann aber nichts mehr sehen) und eine Form (ein Objekt, mit welchem das Sinnesorgan in Beziehung treten kann). Im Buddhismus gibt es eine klare Aufteilung bezüglich des Sinnesorganes selbst und der Gesamtheit seiner Funktion.

 

Phassa (Berührung)

Wir haben sechs Sinnesorgane: Auge, Ohr, Nase, Zunge, empfindsamer Körper (Haut) und denkender Geist. Der denkende Geist wird als Sinnesorgan betrachtet, weil er Informationen, die von den äußeren Sinnesorganen geliefert werden, “wahrnehmen” kann. Wir können uns die Sinnesorgane auch als Eintrittspforten für Objekte aus dem äußeren Bereich zu unserem Geist vorstellen. Wenn zum Beispiel ein Geräusch (das Objekt) an unser Ohr dringt (das Sinnesorgan), so erhebt sich das Hörbewusstsein und beschäftigt sich mit dem Objekt. „Phassa” bedeutet, dass der Geist mit dem Objekt der Erfahrung in Kontakt kommt und es gleichsam „berührt“.

 

Vedana (Empfindung)

Direkt nachdem das Objekt der Wahrnehmung von unserem Geist erfasst wurde, machen wir die Erfahrung einer Empfindung – gleichsam als unmittelbare „Antwort“ auf die soeben erlebte Wahrnehmung. „Phassa” und “Vedana” treten zusammen, eins nach dem anderen, auf, untrennbar in unserer Erfahrung. Sobald wir etwas sehen, hören, riechen, schmecken oder berühren kommen Empfindungen auf. Wenn das Objekt wechselt, so ändern sich auch (schnell) die Empfindungen. Dies bedeutet, dass unsere jeweilige Beziehung zu dem Objekt der Erfahrung (wie wir es benennen oder beurteilen) für unsere Empfindung verantwortlich ist und nicht das Objekt selbst. Unser Geist beschäftigt sich fortwährend mit Objekten und daher auch mit Empfindungen. Entweder denken wir oder sehen, hören, schmecken oder fühlen etwas – und dies in einer kontinuierlichen Abfolge, die wir als unsere Existenz wahrnehmen.

 

Tanha (Begierde)

Dies bezieht sich auf die Begierde nach einem Objekt, mit dem wir Erfahrungen gesammelt haben. Wir machen Erfahrungen mit einem Objekt und wollen mehr davon. Tatsächlich wollen wir das Gefühl, das aus der Erfahrung unserer Sinnesorgane mit diesem Objekt entstanden ist, wiederholen. Wir hören ein schönes Lied und wollen es wieder hören. Wir riechen etwas Leckeres und wollen es sofort essen. Sobald wir einen guten Geschmack erleben, wollen wir mehr davon, selbst wenn wir bereits gesättigt sind. Wir berühren etwas und schon entsteht Begierde. Wir denken etwas und auch hierbei entsteht Begierde. Es wird gesagt, dass Begierde unseren Geist und unsere Persönlichkeit bestimmt.

 

Upadana (Ergreifen)

"Dana” bedeutet unkonditioniertes Geben und “Upa” stellt in Pali ein negatives Präfix dar. Etwas ergreifen zu wollen ist starke Begierde plus der falschen Sicht. Die falsche Sicht scheint durch, sobald wir ein Objekt so sehr begehren, dass wir die Wahrheit absichtlich oder unabsichtlich außen vor lassen werden, um unsere Begierde erfüllt zu bekommen. “ Sobald wir etwas begehren, verspüren wir Anhaftung. Wenn wir anhaften, sorgen wir uns. Sobald wir keine Anhaftung haben, sorgen wir uns nicht mehr. Wenn wir keine Sorgen haben, führen wir ein friedvolles Leben. Jeder Mensch sehnt sich danach, ein friedvolles Leben zu führen. Das ist der Grund, warum wir den Dharma praktizieren.” – Sayadaw Nandamalabhivamsa

 

Bhava (Werden)

Bhava kann als kontinuierliche Schöpfung von Leben oder als Existenzkette erklärt werden. Dies beinhaltet alles, was durch den karmischen Prozess ausgelöst wird. Gemeint sind sowohl unsere Handlungen als auch die Resultate unserer Handlungen. Es umfasst gleichermaßen Geist und Materie. Bhava bedeutet das kontinuierliche Erblühen des Lebens in jedem Moment.

 

Jati (Geburt)

Dies bezieht sich auf die eigentliche Erscheinung und die Dauer einer Existenz. Geburt findet sowohl im Mikrokosmos als auch im Makrokosmos statt. Das Heranreifen der (karmischen) Bedingungen führt entweder zu der Formation eines Gedankens oder zu einem zukünftigen, menschlichen Leben.

 

Jara and Marana (Alter und Tod)

“Jara“ bedeutet Zerfall und Altern. „Marana” steht für en Tod, dem Ende der Existenz oder des Lebens. Und wieder ist es bedeutsam zu erkennen, dass sich dies sowohl im Makrokosmos als auch im Mikrokosmos abspielt, und zwar innerhalb einer kurzen oder langen Zeitdauer.

“Die Jugend ist verrückt und durchgedreht, sie glaubt, dass sie für immer jung bleiben wird. Der junge Mensch denkt: Ich bin immer noch jung, ich kann alles erreichen. Verrückte junge Leute können schlimme Taten ausüben, weil sie nicht daran denken, dass sie älter werden. Wenn wir über das Altern nachdenken, werden wir niemals schlimme Taten ausüben, sondern etwas Gutes für uns selbst und für andere tun.” “Wir müssen über die Natur von Zerfall und Alter kontemplieren.” “Wir müssen wissen: ‘Ich’ kann Alter und Zerfall nicht überwinden.”

 

Wir sollten Folgendes kontemplieren:

* Ich bin von Natur aus Alter und Tod ausgeliefert.

* Ich bin dem Altern unterworfen.

* Ich werde älter und älter.

* Ich kann die Natur von Zerfall und Alter nicht überwinden.

* Ich kann den Tod nicht bezwingen.

 

“Auf diese Art und Weise sollten wir kontemplieren.”

(Sayadaw Nandamalabhivama)

Wenn wir in der Lage sind, uns an die Natur des Todes zu erinnern und unsere Ängste und Unwissenheit bezüglich der Wahrheit akzeptieren können, kommt richtiges Denken in Gang und das richtige Verhalten, welches unser Leben transformiert, entwickelt sich.